Lehren aus der Starkregen-Katastrophe 2021

Kanalarbeiter schaufelt Schlamm aus Abwasserschacht

Kommunen helfen Kommunen: Nicht betroffene Abwasserbetriebe boten im Juli 2021 unbürokratische Hilfe an und befreiten Kanäle im Krisengebiet von Schlamm.

Die Überschwemmungen von Juli 2021 im Westen Deutschlands haben uns drastisch vor Augen geführt, welch katastrophale Schäden Stark­regen auch in unseren Breiten verursachen kann. Unmittelbar nach der Flutkatastrophe hat das IKT 13 Hilfseinsätze koordiniert, bei denen nicht betroffene Abwasser­betriebe in der Krisenregion mit Spülfahr­zeugen, Pumpen und Personal ausgeholfen haben. Die zentralen Erkenntnisse, die aus der engen Zusammenarbeit mit den Abwasser­betrieben erwachsen sind, haben Wissenschaftler des IKT nun in einem Paper zusammengefasst. Eine Zusammenfassung.

Die Erkenntnisse

  • Bei einem kritischen Ereignis zielen die Maßnahmen der Abwasser­betriebe darauf ab, die Funktionsfähigkeit der Entwässerungsnetze wiederherzustellen, um die von Starkregen betroffenen Gebiete vor künftigen, unmittelbar bevorstehenden Ereignissen zu schützen. Denn auch ein Folgeereignis mit geringeren Niederschlägen könnte negative Auswirkungen auf ein System haben, das noch nicht wiederinstandgesetzt wurde. Dies ist besonders wichtig, um die betroffenen Bürgerinnen und Bürger vor weiteren psychischen und physischen Belastungen zu schützen.
  • Karte von Nordrhein-Westfalen

    Kommunen helfen Kommunen: Die vom IKT und KomNetABWASSER koordinierten Hilfseinsätze nach der Starkregenflut 2021 (für größere Ansicht bitte das Bild anklicken)

  • Abwasserbetreibe werden von den staatlichen Krisenstäben in der Regel nicht als direkte Akteure der akuten Gefahrenabwehr gesehen – im Gegensatz zu Armee, Rotes Kreuz, Technisches Hilfswerk und Polizei –, sondern überwiegend nur als ergänzende Unterstützer oder Helfer. Die Rolle als Betroffene, die selbst Hilfe und Unterstützung bei der Wiederherstellung der Infrastruktur benötigen, wurde kaum gesehen. Dementsprechend wichtig ist es, einen direkten Kontakt zwischen den Abwasserverantwortlichen der betroffenen und der helfenden Gemeinden herzustellen, damit konkrete Hilfsaktionen direkt zwischen ihnen koordiniert werden können.
  • Hieraus ergibt sich ein immenser Bedarf an der systematischen Erfassung von Kontaktdaten auf der Arbeitsebene. Das kann etwa in Form eines Nothilfepasses erfolgen. Optimalerweise sollte die Bereitstellung solcher Daten bereits in den gesetzlichen Selbstüberwachungspflichten gefordert werden und im Krisenfall zentral bei einer Treuhandstelle wie dem IKT abrufbar sein.
  • Obwohl die Betroffenen im Sommer grundsätzlich auf Überflutungsereignisse vorbereitet waren, rechneten sie aufgrund der zunächst eher unspezifischen Warnungen nicht mit einer solch extremen Ausnahmesituation. Frühere Erfahrungen mit geringeren Starkregenereignissen ließen die Befragten nicht auf eine solche Katastrophe schließen. In Zukunft sollten deshalb Extremszenarien in Warnungen spezifiziert und in Übungen trainiert werden.
  • Die Gemeinden sollten auf Worst-Case-Szenarien wie Überschwemmungen in der Nacht oder an Wochenenden und Feiertagen vorbereitet sein. Die Mitarbeiter sollten die sozialen Merkmale ihres Gebiets kennenlernen und mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten, um sie zu sensibilisieren und Notfallpläne zu erstellen. Denn sobald eine Warnung herausgegeben und empfangen wurde, ist es von grundlegender Bedeutung, dass sie verstanden und befolgt wird, damit alle Maßnahmen wirksam sind.
  • Kanalreinigungsfahrzeug auf verschlammter Straße

    Solidarität: Die Helfer kamen mit ihren Kanal­reinigungs­fahrzeugen zum Teil von weit her, um in den betroffenen Kommunen die Kanäle wieder frei zu spülen.

  • Viele Hilfsaktionen waren nur möglich, weil die Verantwortlichen dies spontan organisierten und die rechtliche und kaufmännische Abwicklung zunächst offenließen. In anderen Fällen konnte die Hilfe erst gar nicht aktiviert werden, weil lange Entscheidungsprozesse zu tage- oder gar wochenlangen Verzögerungen führten. Hier erscheint es unabdingbar, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Hilfeleistung im Vorfeld zu klären, damit im Ereignisfall schnell gehandelt werden kann.
  • Während viele Kanalbetreiber darüber diskutieren, dass der Betrieb von Schmutzfängern unter den Kanaldeckeln zu kostspielig sei, schützten genau diese Elemente die Kanäle vor übermäßiger Verschlammung. Im Krisengebiet waren sie in vielen Fällen mit Schlamm gefüllt und verschlossen den Kanalzugang vollständig, was den Zufluss von weiterem Schlamm in die Kanalisation verhinderte.
  • Grundsätzlich muss die Organisation der Hilfsmaßnahmen im Katastrophenfall neu überdacht werden. Derzeit sind die Notfallsysteme der Abwasserbetriebe nur auf durchschnittliche Starkregenszenarien ausgerichtet, nicht aber auf Extremereignisse. Dies gilt auch für die Vorhaltung von Netz- und Betriebsdaten. Im Katastrophenfall können alle lokalen Systeme zerstört werden, so dass es möglich sein sollte, wesentliche Netzdaten zu sichern und über einfache Kommunikationswege wie Ausdrucke und Handy-Informationen zur Verfügung zu stellen.
  • Im Katastrophenfall benötigen vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kleinerer Abwasserbetriebe neben technischer auch strategische Unterstützung. Viele Mitarbeiter sind auch privat von dem Ereignis betroffen und physisch und psychisch kaum in der Lage, eine komplexe Katastrophensituation im Abwasserbetrieb zu bewältigen.
Starkregen-Check Kanalbetrieb

Im Starkregen-Check Kanalbetrieb haben sich das KomNetABWASSER und das IKT 2018 gemeinsam mit beteiligten Abwasserbetrieben eine Reihe von Dokumenten erstellt, die von Kommunen auf der ganzen Welt übernommen werden können, um Organisationen und ihr Betriebspersonal bei der Vorbeugung von Problemen aufgrund von Starkregenereignissen zu unterstützen.

Katastrophale Niederschläge – das Armageddon

Zwei Personen betrachten Lageplan

In der Krise nich allein: Eine, die sich auskennt, und einer, der mit anpackt

Extreme Überflutungen nach Starkregen kann eine Gemeinde nicht alleine bewältigen. Deshalb sollte man sich im Vorfeld schon klar werden, welchen Beitrag andere leisten können, und ein Netzwerk für den Notfall aufbauen. Die Gemeinden müssen zudem erwarten können, im Bedarfsfall Unterstützung zu erhalten, und gleichzeitig bereit sein, Unterstützung zu gewähren, wenn jemand anderes sie anfordert.

Jetzt aktiv werden

Extreme Starkregen mit Überflutungen treffen nicht mehr nur die anderen. Auch Städte in unseren Breiten müssen sich auf den Katastrophenfall vorbereiten. Es gibt zahlreiche Ansatzpunkte für Verbesserungen, die dazu beitragen können, das Schlimmste zu verhindern und den Fall der Fälle mit koordinierter Hilfe durchzustehen. Wichtig ist aber vor allem, genau jetzt aktiv zu werden.

Diese Informationen entstammen dem Paper „Living with Urban Flooding: A Continuous Learning Process for Local Municipalities and Lessons Learnt from the 2021 Events in Germany” von Prof. Dr.-Ing. Bert Bosseler, Dr. Matteo Rubinato, Mirko Salomon, M.Sc. und Dipl.-Ing. Marco Schlüter. Es kann kostenfrei auf der Website des Water Journal eingesehen werden.

Ansprechpartner

Mirko Salomon, M.Sc.
Tel.: 0209 17806-25
E-Mail: salomon@ikt.de

 

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Schlussfolgerungen

Urbane Resilienz sollte als ein adaptiver Prozess betrachtet werden, bei dem die Gesellschaft kontinuierlich lernt, wie sie mit den sich ändernden sozioökonomischen Bedingungen und der städtischen Flächennutzung sowie dem sich ändernden Klima umgehen kann. Um das zu erreich, sind jetzt besondere Anstrengungen nötig.

Was ist jetzt wichtig?

  • Mit der verstärkten Entwicklung von Schwammstadt-Konzepten zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels werden zahlreiche neue Bauelemente entwickelt und bereits heute eingesetzt, die unter dem Sammelbegriff SUDS (Sustainable Urban Drainage Systems) bekannt sind, wie zum Beispiel Gründächer. Für diese Elemente müssen auch betriebliche Anforderungen gestellt und gegebenenfalls auch rechtlich fixiert werden. Wissenschaftliche Studien über den Bau und den Betrieb dieser Systeme können die notwendigen Grundlagen liefern.
  • Der Umgang mit Starkregenereignissen, die von der Kanalisation nicht mehr aufgenommen werden können, erfordert eine bessere Kenntnis des dann auftretenden Oberflächenabflusses und seiner Wechselwirkung mit der Kanalisation. Hier sind weitere Untersuchungen sinnvoll, um diese Wechselwirkungen besser zu verstehen.
  • Ein direkter Schutz vor Wassermassen wie bei der Sturzflut 2021 scheint kaum möglich. Umso wichtiger ist es, die im gesamten Einzugsgebiet auftretende Abflussbildung und -konzentration an der Oberfläche besser zu verstehen, da diese zunächst noch geringen Abflüsse erst in der Summe zu den großen, gefährlichen Wassermassen führen. Verlässliche Starkregengefahren- und -risikokarten können demnach nur erstellt werden, wenn die Abflussbildung im Gebiet sicher bekannt ist. Untersuchungen zur genauen Quantifizierung der Abflussbildung und -konzentration, sowohl in-situ als auch im Labor, sind daher dringend erforderlich.
Diese wasserwirtschaftlichen Fragestellungen erfordern eine geschickte Kombination von Laborversuchen, numerischen Analysen und Beobachtungen in der Realität. Laborversuche im Maßstab 1:1 können die realen Beobachtungen um wichtige, zusätzliche Extremszenarien ergänzen und so die Auswahl geeigneter Parameter für die numerische Simulation sicherstellen.-->