7. Zusammenfassung und Schlussfolgerung
     
   

Zusammenfassung

    Einfluss des Porenraumes
   

Einfluss verfügbarer Nährstoffe

     
    Erklärungsversuche:
     
    Leck-Modell
    Dichtefallenmodell
    Quellungsmodell
    Sauerstoffmodell
    Kombinationsmodell
     
     
    Zusammenfassung
     
   

Das Auftreten von Wurzeleinwuchs wird ingenieurtechnisch häufig auf einen zu geringen Anpressdruck des Dichtungsmittels in der Rohrverbindung zurückgeführt. Biologische Aspekte werden bei der Ursachenfindung nicht berücksichtigt, so dass auch zum Nachweis der Wurzelfestigkeit von Rohrverbindungen nur stark idealisierte mechanische Verfahren eingesetzt werden. Diese vernachlässigen i.d.R. die besonderen Versagensmechanismen aus der Interaktion zwischen Rohrleitung und Wurzeln, so dass auch die Netzbetreiber den bestehenden Prüfverfahren nur ein geringes Vertrauen entgegenbringen. Wiederholt auftretende Einwuchsschäden verstärken diese Verunsicherung der Netzbetreiber bei der Auswahl zuverlässiger Rohrwerkstoffe und –verbindungen. Darüber hinaus fehlen auch den Rohrherstellern zur Entwicklung wurzelfester Rohrverbindungen geeignete Hinweise und Prüfergebnisse.

Vor diesem Hintergrund war es Ziel dieses Forschungsvorhabens, die Ursachen für Wurzeleinwuchs in Leitungen wissenschaftlich zu belegen und die Mechanismen bei Eindringen einer Wurzel in die Leitung sowie die Wechselwirkung zwischen Wurzeleinwuchs und Rohreigenschaften zu beschreiben. Darüber hinaus sollten Vorschläge für Prüfverfahren entwickelt werden, die die mechanischen und biologischen Vorgänge bei Wurzeleinwuchs realitätsnaher abbilden, und so Wege aufgezeigt werden, wie Rohrverbindungstechniken hinsichtlich ihrer Beständigkeit gegen Wurzeleinwuchs bewertet werden können. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden in 16 Baumaßnahmen Leitungsabschnitte mit Wurzelschäden vor Ort aufgegraben, die Umgebungsbedingungen erfasst und Wurzel- bzw. Bodenproben aus den betrachteten Bereichen entnommen und labortechnisch untersucht. Auf Grundlage dieser In-situ-Erfahrungen wurden Modelle zur Beschreibung des Einwuchsverhaltens von Wurzeln in Leitungen entwickelt und experimentelle Ansätze zur Überprüfung der beobachteten Gesetzmäßigkeiten und der zu erwartenden Wurzeldrücke abgeleitet. Abschließend wurden marktgängige Rohrverbindungen durch Druckspannungsmessungen untersucht und weitergehende Bewertungskriterien als Grundlage für die Entwicklung künftiger wurzelfester Rohrverbindungen und Sanierungsprodukte vorgeschlagen. Nachfolgend sind die wesentlichen Schlussfolgerungen zusammengefasst.

     
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    Einfluss des Porenraumes
     
    Einen wesentlichen Einfluss auf das Wurzelwachstum hat der Porenraum im Boden. Wurzeln dienen der Aufnahme von Nährstoffen und Wasser aus dem Boden. Sie erfüllen ebenfalls die Funktion, die Pflanze im Boden zu verankern. Ungehindertes Wurzelwachstum erfolgt in großen Poren. Dabei wird davon ausgegangen, dass in Poren von größerem Durchmesser als 0,2 bis 0,4 mm Wurzeln eindringen können [108], [109]. Feine Poren werden von Wurzelhaaren durchzogen. Damit der wachsende Organismus seinen Bedarf an Nährstoffen und Wasser über seine gesamte Lebensdauer hinweg decken kann, wächst auch das Wurzelsystem weiter und erschließt sich stetig neuen Bodenraum. Dabei sind Wurzeln, wie alle Pflanzenteile auf eine funktionierende Veratmung (Oxidation) kohlenhydratreicher Verbindungen zur Energieerzeugung angewiesen. Der benötigte Sauerstoff befindet sich in einem natürlichen Bodengefüge in der Bodenluft und kann dort von den Wurzeln aufgenommen werden. Geringe Sauerstoffgehalte in der Bodenluft werden als Auslöser für Wachstumsdepression beschrieben. Auch ein Absterben von Wurzeln konnte beobachtet werden [7],[15].

Insbesondere in anthropogen beeinflussten Stadtböden lassen sich auf engem Raum unterschiedliche Böden mit unterschiedlichen Bodeneigenschaften vorfinden, die das Wurzelwachstum beeinflussen. Ein Grund ist die Nutzung des Bodenkörpers für Bauwerke der unterirdischen Infrastruktur. Das sind zum einen Versorgungsleitungen, die üblicherweise in Tiefen bis zu 1,60 m verlegt werden können (vgl. [20]). Zum anderen befinden sich dort Bauwerke der Ortsentwässerung wie Abwasserkanäle, Hausanschlussleitungen und Straßeneinläufe. Die Herstellung dieser Bauwerke in der offenen Bauweise stellt einen starken Eingriff in den Bodenkörper dar. Sie erfolgt durch Ausheben eines Grabens, Verlegen der Leitung im Schutze einer Böschung oder eines Verbaus und anschließendes lagenweises Verfüllen des Grabens und sorgfältiges Verdichten des eingefüllten Materials. Eine besondere Schwierigkeit stellt die Verdichtung des Bereichs zwischen Kämpfer und Sohle, dem sogenannten Rohrzwickel dar (vgl. Abb. 7). Die bestehenden Schwierigkeiten bei der Verdichtung des Zwickelbereichs haben in der Praxis dazu geführt, dass häufig das einzubauende Bodenmaterial bis auf Höhe des Kämpfers geschüttet und anschließend verdichtet wird (vgl. Abb. 8). Dies geschieht in der Hoffnung, dass die Bodenverdichtung bis in den Zwickelbereich hineinreicht. Es wird deutlich, dass eine solche Verdichtungsart oftmals nicht den Forderungen des Normen- und Regelwerkes nach einem definierten Verdichtungsgrad im Zwickelbereich gerecht wird [26].

     
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    Einfluss verfügbarer Nährstoffe
     
    Nährstoffe bzw. eine nährstoffreiche Umgebung sind nicht als treibende Kraft für das Einwachsen von Wurzeln in Abwasserleitungen anzusehen. Wurzeln folgten bei den untersuchten 16 Schadensfällen nicht oder nicht primär einem Tropismus, der vom Leitungsinhalt ausgeht und sie dazu veranlasst in eine Leitung einzuwachsen. In diesem Fall wären die Wurzeln an einer Stelle eingewachsen, an der das Leitungsmedium austritt, der Rohrsohle. Die Wurzeln sind bei den beobachteten Schadenfällen in der Regel nicht durch die Kanalsohle in die Leitung eingewachsen. Von dieser Annahme ausgehend wurde im Rahmen des Projektes verstärkt das Wachstum der Wurzeln auf eine Leitung zu, in eine Rohrverbindung hinein und durch sie hindurch betrachtet, um so die Wachstumsvorgänge zu erklären. Um die Beobachtungen zu systematisieren wurden verschiedene Modelle entwickelt:
     
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    Leck-Modell:
     
    Die gängige Begründung für den Einwuchs von Wurzeln setzt die Attraktivität des Leitungsinhaltes voraus. Austretender Leitungsinhalt in der Nähe undichter Rohrverbindungen stellt demnach für die Wurzeln eine Quelle für Wasser und Nährstoffe dar. Der Einwuchs erfolgt gemäß dieser Vorstellung, da aus dem Kontakt zum Leitungsinhalt bessere Lebensbedingungen für die Pflanze hervorgingen.
     
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    Dichtefallenmodell:
     
    Die gesamte Umgebung von Gebäuden und ihrer Infrastruktur stellt einen anthropogen geschaffenen Bodenraum mit einer im Gegensatz zum gewachsenen Boden, häufig verminderten Verdichtung bzw. größerem Porenraum dar. Die Ausrichtung des Wurzelwachstums wird durch Richtungsänderungen beeinflusst, welche die Wurzelspitzen als Folge von Dichteunterschieden im durchwachsenen Boden erfahren. Die Elastizität der Kalyptra (Wurzelspitze) führt dazu, dass die Wurzeln in die Richtung des leichter zu durchwurzelnden Substrates wachsen. Ein Zurückwachsen der Wurzeln in einen Bereich höherer Verdichtung bzw. schlechterer Durchwurzelbarkeit ist in der Regel ausgeschlossen. Die Wurzeln werden in Bodenbereichen mit großer Durchwurzelbarkeit „eingefangen“. Der Ringspalt bzw. Ringraum vor dem Dichtelement kann auch, in Abhängigkeit von der Rohrverbindung, einen Bereich darstellen, der durch Wurzeln leicht erschlossen werden kann. Sie können dort mehrere Jahre wachsen, bevor sie letztendlich in die Leitung einwachsen. Hierfür muss der Anpressdruck des Dichtmittels überwunden werden.
     
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    Quellungsmodell:
     
    Änderungen der Bodenfeuchtigkeit über die Zeit beeinflussen die Struktur von Böden und Wurzeln. Bestandteile des Substrates sind in der Lage unter Wasseraufnahme zu quellen und durch Wasserabgabe zu schwinden. Diese zeitliche Veränderungen des zur Verfügung stehenden Raumes im Boden kann ein Ausbreiten der Wurzeln beeinflussen. Quell- und Schwindvorgänge können wahrscheinlich auch in verholzten Wurzeln auftreten. Hierdurch können möglicherweise Kräfte auf Rohre und Rohrverbindungen wirken, die über den gemessenen, aus Dickenwachstum entstandenen Kräfte liegen. So ist es ist denkbar, dass die hohen Kräfte, die für das Überwinden des Anpressdrucks einer Rohrverbindung notwendig sind, durch Quellung verholzter Zellwände erzeugt werden. In der Umgebung von Leitungen und deren Verbindungen, die unterhalb des Grundwasserstandes verlegt sind, treten nur geringe Schwankungen durch Quellungsvorgänge auf. Trifft dieses Modell zu, so tritt der Einwuchs von Wurzeln in Leitungen, die ständig unterhalb des Grundwasserstandes verlegt sind, selten auf.
     
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Sauerstoffmodell:

     
    Die Verfügbarkeit von Sauerstoff im Boden hat großen Einfluss auf die Ausbreitung von Wurzeln. Alle pflanzlichen Organe benötigen Sauerstoff zur Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels. Die Versieglung städtischer Böden hat zur Folge, dass der Eintrag von Sauerstoff in den Boden stark eingeschränkt ist. Abwasserleitungen werden meist als Freispiegelleitungen betrieben und ausreichend über Wartungs- und Inspektionsöffnungen (Schächte) belüftet. Der größte Anteil der Leitung ist mit Luft gefüllt. Bei vergossenen Dichtungen können im Vergussmaterial durch Schwinden Risse entstehen. Der in der Luft enthaltene Sauerstoff kann so in der Umgebung von Rohren und Rohrverbindungen in den Boden gelangen. Aber auch Rohrverbindungen mit Elastomerdichtungen können mit der Zeit gasundicht werden (vgl. [92]). Die Rohrverbindung und der angrenzende Boden wird dadurch möglicherweise für Wurzeln attraktiv. Wurzeln wachsen gemäß diesem Modell der Sauerstoffquelle entgegen und finden so die Rohrverbindung. Bei nicht gasdichten Rohrwerkstoffen kann auch bei intakten Leitungen Sauerstoff austreten, der einen Einfluss auf die Ausbreitung von Wurzeln haben kann.
     
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    Kombinationsmodell:
     
    Das Einwachsen in die Leitung erfolgt im allgemeinen nicht, weil der Leitungsinhalt gute Bedingungen bereitstellt, der Einwuchs ist hingegen die logische Konsequenz des Zusammenspiels verschiedener Gegebenheiten in der Nähe der Leitung. Es ist anzunehmen, dass ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren den Einwuchs von Wurzeln in Leitung ermöglicht. Sowohl die Dichte des Bodens, sein Quellverhalten, wie auch die Verfügbarkeit von Sauerstoff und der Zustand der Leitung haben einen Einfluß auf das Wurzelwachstum. Das Erkennen von Faktoren, die vor Ort einem Schaden Vorschub leisten, kann helfen zukünftige Schäden zu vermeiden.
     
   

Zusammenfassend kann festgestellt werden: Das zur Leitung gerichtete Wurzelwachstum ist eine Reaktion auf die Umgebung der Leitung. Aus Leckagen austretendes Abwasser bzw. Nährstoffe sind von untergeordneter Bedeutung. Die Umgebungsbedingungen und Oberlächeneigenschaften des Rohres können den Einwuchs in die Leitung erheblich begünstigen. Erst im zweiten Schritt entscheiden die Rohrverbindungseigenschaften über das Einwuchsrisiko. Eine Behinderung des Wurzeleinwuchses ist dort im Wesentlichen über einen großen Gegendruck (Anpressdruck der Dichtungen) und eine wurzelabweisende Verbindungsgeometrie (geringe Ringräume und Angriffsflächen) möglich. Die Gasdichtheit der Verbindung kann Wachstumsreize weiter vermindern. Der Einwuchsvorgang lässt sich durch Kombination biologisch-technischer Modelle beschreiben.

     
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