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29.03.2004


Sanierungskonzepte von Grundstücksentwässerungen
Zustandserfassung von 7000 privaten Entwässerungen

Auf den 4. Göttinger Abwassertagen referierte Dipl.-Ing. Harald Ballweg über seine Erfahrungen aus zahlreichen Untersuchungen privater Grundstücksentwässerungen. In seinem Beitrag, den wir hier ungekürzt wiedergeben, zeigt er die Vorgehensweise und die marktgängigen Technologien zur Zustandserfassung privater Leitungen auf.

 
1.   (Gesamt-)Netzsanierung
 

Erfolge bei herausfordernden entwässerungstechnischen Fragestellungen, wie z. B. dem Fremdwasserproblem, lassen sich nur über die Einbeziehung des Privatbereiches erzielen. Hierbei ist eine netzbezogene Betrachtungsweise unabdingbar. Das Abwassernetz beginnt bei den Fallleitungen bzw. Entwässerungsgegenständen und endet auf der Kläranlage mit der Einleitung in den Vorfluter. Diese Definition ist nach den vorliegenden Erfahrungen sowohl bei der Fremdwasserfrage als auch generell bei Kanalsanierungskonzepten zu Grunde zu legen.

 

 

Abb. 1: Darstellung eines Abwassernetzes aus traditioneller (links) und ganzheitlicher Betrachtungsweise (rechts)

 
Die Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung wird allein durch die vorhandenen Kanallängen im öffentlichen und privaten Bereich deutlich. Die untenstehende Grafik eines Kanalsanierungsgebietes in Göttingen zeigt, dass fast zwei Drittel des gesamten Entwässerungsnetzes im privaten Bereich liegen.

Weitere Auswertungen von Sanierungsprojekten bestätigten mit gewissen Abweichungen in beide Richtungen die Verteilung öffentlich – privat von 1:2. Das Verhältnis ist im Einzelfall zum einen von den Grundstücksgrößen und der Bebauungsstruktur (z.B. Hinterliegern), zum anderen von der Straßenbreite und somit der Länge der Anschlusskanäle abhängig.

 

Abb. 2: Gegenüberstellung der Länge der öffentlichen und privaten Schmutzwasserkanalabschnitte eines Kanalsanierungsgebietes in Göttingen (2001/2002)

 
Natürlich rechtfertigen nicht nur quantitative Aspekte eine Gesamtnetzsanierung. Unwiderlegbares Argument für die Grundstückssanierung dürfte die Schadensquote und das teils dramatische Schadensausmaß sein.

Die Entwicklungen hinsichtlich des Sanierungsumfanges sind für die Jahre 1998 bis 2003 in der nachfolgenden Grafik prozentual dargestellt. Die Anzahl der in diesen Jahren untersuchten Grundstücke betrugen zwischen 736 und 987.

 

Abb. 3: Entwicklung der Schadensverteilung der 1998 bis 2003 untersuchten Grundstücke in Göttingen

 
Anmerkung zu Abb. 3:

trennen = Trennung von Schmutz- und Niederschlagswasser

sanieren = Schmutzwassersanierung

trennen & sanieren = beide Maßnahmen notwendig

Bedingt durch die enorm gestiegene Untersuchungsintensität im Grundstücksbereich mit Einbeziehung des gesamten privaten Schmutzwassernetzes ab Mitte 2000 sowie den durchgeführten Dichtheitsprüfungen im Privatbereich ab Ende 2001 ergaben sich erhebliche Ausweitungen bei den baulichen Sanierungen (Abb. 3: Säule 3+4).

Grundvoraussetzung für die Ansprache der Grundstückseigentümer und die erforderlichen Sanierungen ist das Vorliegen verlässlicher Untersuchungsergebnisse der privaten Entwässerungsanlage.

 
2.   Konzept und Logistik der Grundstücksuntersuchung

Der Untersuchungsumfang besteht zum einen in der Aufnahme der Entwässerungsgegenstände und der Ermittlung von Fehlanschlüssen durch Signalnebeluntersuchungen und Wasserfärbetests sowie in der TV-Inspektion des Schmutzwassersystems und ggf. der Dichtheitsprüfung.

Diese Untersuchungen haben neben der Schadenserfassung noch weitere wichtige Funktionen:

  • Erfassung der Struktur und Lage des Netzes
  • Gewinnung von Daten über die Nutzung und zur möglichen Sanierungsplanung
  • Demonstrationseffekt bei der TV-Inspektion und insbesondere bei der Dichtheitsprüfung gegenüber den Eigentümern ist für die Sanierungswilligkeit sehr unterstützend

Neben den eigentlichen Untersuchungsschritten zur Inspektion der Grundstücksentwässerungen ist für eine erfolgreiche Sanierungsmaßnahme die Berücksichtigung der naturräumlichen Gegebenheiten, der rechtlichen Rahmenbedingungen, der Sanierungsintention des Netzbetreibers und nicht zuletzt der sozialen Komponente von großer Wichtigkeit.

 
2.1   Datenrecherche zum Sanierungsgebiet

Vor Beginn der individuellen Grundstücksuntersuchungen sind die sanierungsgebietsbezogenen Gegebenheiten zu recherchieren. Diese liefern häufig Anhaltspunkte bezüglich der gewählten Bebauungs- und Entwässerungsstrukturen sowie auf die zukünftig sinnvollen Sanierungsmöglichkeiten.

 

Tab. 1: Aufnahme der naturräumlichen und entwässerungstechnischen Rahmenbedingungen des Untersuchungsgebietes

 
Bei der Untersuchung und Sanierung von Grundstücksentwässerungen ist die Integration des Wasser-Boden-Systems zwingend erforderlich. Die frühzeitige Installation von Grundwasserpegeln ist ratsam.
 
2.2   Das Startgespräch

Der Projektdefinition sowie der Aufnahme der Randbedingungen im Sanierungsgebiet folgt die Planung der inhaltlichen und zeitlichen Abwicklung des Sanierungsprojektes. Hierzu findet ein Startgespräch der im öffentlichen und im privaten Bereich an der Maßnahme beteiligten Ingenieure statt.

Besonders wichtig ist hier, eine realistische Zeitschiene der erforderlichen Untersuchungsleistungen auf den Grundstücken festzulegen. An dieser Stelle werden häufig Zeitzwänge aufgebaut, die im planerischen Vorfeld genauer einzuschätzen sind.

Der Aufwand für die Vorbereitung der TV-Inspektionen im Privatbereich ist erheblich größer und bedarf häufig vieler Zwischenschritte (z.B. Schaffung von Zugänglichkeiten, Mietergespräche, etc.). Weiterhin sind aufgrund von nicht voraussehbaren Hindernissen bei der Befahrung zeitliche Kalkulationen oft schwierig, Folgetermine nicht exakt planbar.

Demgegenüber ist die Toleranz der Eigentümer bezüglich Unpünktlichkeiten oder Verschiebungen sehr unterschiedlich. Die Logistik und das Terminmanagement ist für eine wirtschaftliche und zugleich kundenfreundliche Abwicklung von entscheidender Bedeutung.

Diese und andere Eckpunkte müssen im Startgespräch koordiniert werden, damit es die Funktion als Steuerungsinstrument der öffentlichen und privaten Bearbeitungserfordernisse erfüllen kann.

 
2.3   Einbindung des Bürgers

Der Zeitpunkt für die Einbindung der Eigentümer in das Sanierungsprojekt ist ein häufiges Diskussionsthema.

Grundsätzlich gilt, dass die Eigentümer, Mieter, Hausverwaltungen oder andere Betroffene nicht früh genug über zukünftige Sanierungsmaßnahmen informiert werden können.

In Göttingen hatte es sich in den letzten Jahren eingebürgert, dass die Informationsveranstaltungen teils recht spät – meist zwischen Ausschreibung und Vergabetermin - abgehalten wurden.

Der Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, dass bei den Versammlungen genaue Bauabläufe und –termine im öffentlichen Bereich genannt werden können. Nachteilig ist, dass viele Informationen den Grundstückseigentümern während der Untersuchungstermine und den Maßnahmengesprächen dann bereits übermittelt wurden Die Erläuterung der allgemeinen Fragen zur Grundstücksentwässerung und des Sanierungshintergrundes für jeden Eigentümer ist eine hohe zeitliche Zusatzbelastung bei den Beratungsgesprächen vor Ort. Die Ortstermine sollten primär den spezifischen Fragestellungen des jeweiligen Grundstückes gewidmet werden können.

Inzwischen ist dieses Vorgehen konzeptionell korrigiert worden und es wird noch vor der ersten Kontaktaufnahme bzw. den ersten Grundstücksuntersuchungen eine Informationsveranstaltung angeboten. Bei Bedarf werden noch weitere Bürgerinformationen anberaumt, insbesondere bei schwierigen Sanierungs- oder Eigentumsverhältnissen. Diese Termine können auch auf den jeweils thematisch betroffenen Eigentümerkreis zugeschnitten sein.

In der Zukunft ist angedacht, die Bürgerinformationen noch stärker zur Vorstellung der Untersuchungsmethoden zu nutzen, um dem Untersucher vor Ort weiter zu entlasten.

 
2.4   Aufnahme und Untersuchung der Grundstücksentwässerung

Die Herangehensweise zur Erfassung der Grundstücksentwässerungsanlage wird im Folgenden hinsichtlich ihrer zeitlichen und inhaltlichen Abfolge näher erläutert. Die aufeinander aufbauenden oder von einander anhängigen Schritte der Untersuchung der Grundstücksentwässerung werden im Nachfolgenden als Einzeltechniken ausführlicher erläutert. Hierbei ist das Sanierungsziel immer fest im Auge zu behalten.

Der Untersuchungsfortschritt wird in Grundstückslageplänen dokumentiert. Ausgangspunkte sind die digitale Grundkarte mit dem öffentlichen Kanalnetz.

 

Abb. 4: CAD-PLan des TV-inspizierten und vermessenen öffentlichen Kanalnetzes als Grundlage zur privaten Netzinspektion

 
2.4.1 Studium der Entwässerungs-Hausakten

Vor der Untersuchung vor Ort steht die Auswertung der Hausakten, die für (fast) jedes Grundstück bei der Stadtentwässerung Göttingen vorhanden sind. Hier können in der Regel keine Bestandszeichnungen der Grundstücksentwässerungen erwartet werden, sondern bestenfalls Genehmigungsplanungen.

Das Studium kann in vielen Fällen trotz der aufgezeigten Mängel werTVolle Hinweise liefern auf wahrscheinliche Leitungsführungen, Zisternen, Schächte, Überleitungen oder Anschlusspunkte.

Relevante Informationen aus diesen Entwässerungsakten werden aufbereitet und liegen dem Untersucher vor Ort vor, ebenso wie ggf. vorliegende Grundwasserstände oder bauliche Besonderheiten.

 
2.4.2 Signalnebel-Untersuchung der privaten Entwässerungsanlage

Etwa zwei Wochen vor dem Termin der Nebel-Untersuchung werden die zu untersuchenden Grundstückseigentümer/Mieter mit einer Ankündigung auf die geplante Untersuchung vorbereitet. Das in der Straße verteilte Informationsblatt enthält fremdwasserbezogene Hintergrundinformationen und die Telefonnummern der zuständigen Ansprechpartner. Diese Herangehensweise erwies sich bisher als völlig unproblematisch.

Die Hauptprobleme sind die Nichtzugänglichkeit der Schächte, Revisionsöffnungen und vor allem teil- bis völlig verstopfte Leitungen. Es bedarf in manchen Fällen großer Erfahrung und den Einsatz angepasster, einfacher technischer Hilfsmittel, um in einem akzeptablen Zeitrahmen Entwässerungsstrukturen aufzuklären.

Die Signal-Nebeluntersuchung wird durch den zuständigen Ingenieur geleitet. Während der Untersuchung sind etwa 50% der Grundstückseigentümer zugegen und es findet bereits an dieser Stelle ein erster, längerer Gesprächskontakt statt.

Die Kenntnisse der Eigentümer über ihre Entwässerungen sind in der Regel sehr mangelhaft – obgleich einige selbst "(mit-)gebaut" haben – und es ergeben sich oft spontan gemeinsame "Erkundungsgemeinschaften", die sehr förderlich für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Eigentümer und beratendem Ingenieur sind.

Durch die Benebelung sollen folgende Punkte erfasst und abgeklärt werden.

  • Auffindung von Fehlanschlüssen (im Trennsystem)
  • Prüfung von Anschlussverhältnissen
  • Erste Bestandsaufnahme von Netzen
  • Insbesondere beim Einsatz vom Hauptkanal aus: Schneller Nachweis der Anschlussverhältnisse vieler Entwässerungsleitungen und –gegenständen
  • Bei günstigen baulichen Voraussetzungen Möglichkeit zur Feststellung von Drainagen

Aufgrund der Signalnebeluntersuchung kann der Lageplan der Grundstücksentwässerung fortgeschrieben werden und bildet die Grundlage für den folgenden Untersuchungsschritt - der TV-Inspektion der Grundleitungen.

 

Abb. 5: CAD-Plan des mit Signalnebel untersuchten Grundstückes

 
2.4.3 TV-Inspektion der privaten Schmutzwasserleitungen

Die TV-Untersuchung aus dem öffentlichen Bereich mit einer Hausanschlusskamera erreicht nur in seltenen Fällen die Bodenplatte oder die Fallleitung. Eine TV-Inspektion der Schmutzwasser-Grundleitung sollte jedoch für jedes Grundstücke bis zur Fallleitung des Hauptstranges vorliegen. Nur dann können die meisten angeschlossenen Drainagen baulich nachgewiesen werden und das Netz unter der Bodenplatte zumindest mit den vorhandenen Abzweigen aufgenommen werden. Bei Bedarf bzw. wenn erforderlich und technisch möglich, können Nebenstränge zusätzlich inspiziert werden.

Die Umsetzung der TV-Inspektion auf den Grundstücken (vom Revisionsschacht oder der -öffnung im Haus) sowie wie die Abklärung des bei dem Signalnebeltermin nicht nachweisbarem Entwässerungsbestandes über Wasser-Farbtests erfolgt bei diesem Untersuchungstermin.

Durch die TV-Inspektion der Grundleitungen werden der bauliche Zustand, der Betriebszustand (z.B. Abflusshindernisse) sowie u.U. Fehlanschlüsse festgestellt. Die Untersuchung dient weiterhin zur Vorbereitung weiterer Untersuchungsschritte (z.B. Dichtheitsprüfung)

Die größten Handicaps bei der TV-Inspektion sind die fehlenden, verdeckten, unzugänglichen und nicht fachgerechten Revisionsschächte und –öffnungen.

Um das gesamte Rohr und insbesondere die Sohlen optisch zu untersuchen, müssen diese von den normalen Gebrauchsspuren (Sielhaut, Fäkalien, etc.) gereinigt werden. Erfahrungsgemäß treten unter den Gebäuden häufig stärkere Ablagerungen auf. Hier handelt es sich sehr oft um ausgehärtete Fette.

Die Qualität der TV-Aufnahmen steigt durch die nicht verschmutzte Kameralinse erheblich, ebenso wie die Untersuchungslängen, da lose Ablagerungen nicht aufgeschoben werden.

In einigen Fällen geht einer TV-Inspektion eine Ortsbegehung des Grundstückes und Gebäudes voraus. Hierdurch werden Stillstandszeiten bei der späteren TV-Inspektion und vielerlei Missverständnisse ausgeschlossen.

Auf folgende Punkte ist bei einer Begehung im Vorfeld der TV-Inspektion zu achten:

 

 
Die Wahrscheinlichkeit angeschlossene Drainagen zu erkennen, erhöht sich durch den Einsatz von Schwenkkopfkameras um ein Vielfaches. Da die Drainagen zumeist an den Hauptstrang der Grundleitung angebunden wurden, ist eine Lokalisierung während der TV-Inspektion die Regel. Drainagen an Nebensträngen können auch bei der Signalnebeluntersuchung entdeckt werden. Eine sichere Lokalisierung kann über eine TV-Inspektion mit einer Abzweigkamera erfolgen.

Die TV-Kamera sollte über einen Ortungssender verfügen, um sowohl die horizontale - als auch die Tiefenlage zu bestimmen. Nur so können in vielen Fällen Leitungsnetze rekonstruiert sowie sinnvolle Sanierungsentscheidungen getroffen werden. TV-Kameras mit einem permanent aufrecht stehenden Bild sind insbesondere bei der Neubauabnahme vorzuziehen.

Bei der Inspektion von privaten Abwassersystemen sind neben der erforderlichen Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Inspekteure, ebenso Kontaktfreudigkeit, Kundenorientierung und kultivierte Umgangsformen weitere wichtige Kriterien.

Grundsätzlich ist im baulichen Bestand die TV-Inspektion mit der Dichtheitsprüfung des Grundleitungsnetzes zu koppeln. Daraus ergeben sich erhebliche Kosteneinsparungen. Im Falle optischer Undichtigkeiten ist eine Dichtheitsprüfung in der Regel nicht mehr erforderlich.

 

Abb. 6: CAD-Plan des TV-inspizierten Grundstückes

 
2.4.4 Dichtheitsprüfung der privaten Entwässerung

Bedingt durch die Verzweigtheit der Grundleitungsnetze besonders unter der Bodenplatte fällt die Wahl meist auf das Medium Wasser. Im Neubau wie Altbaubereich ist Wasser einerseits immer vorhanden, zum anderen sind Undichtigkeiten bei Vorprüfungen genau lokalisierbar.

Im Bestand, mit der zusätzlichen Schwierigkeit alle Leitungsendpunkte abzusperren, kommt die Wasserprüfung nahezu immer zur Anwendung. Bei bestehenden Grundleitungsnetzen kann bezüglich der Druckhöhe entsprechend der Regelungen der DIN 1986 Teil 30 die Oberkante des tiefsten Entwässerungsgegenstandes oder die Unterkante der Reinigungsöffnung der Fallleitung festgelegt werden.

Folgende weitere Kriterien können die Wahl auf die Prüfung mit Wasser fallen lassen:

  • Nur bei der Wasserprüfung gibt es bei undichten Leitungen Wasserzugabemengen, die eine genaue Aussage über den Grad der Undichtigkeiten erlauben
  • Im Bereich der Grundstücksentwässerung und bei Anwesenheit der Eigentümer ist der "Demonstrationseffekt" des absinkenden Wasserstandes ein besonders gutes Mittel Sanierungsbedürfnisse deutlich darzustellen.
  • Bei der Prüfung mit Wasser kann durch eine einfache optische Kontrolle sichergestellt werden, ob die Absperrelemente dicht sitzen.

Soweit Prüfabschnitte ohne Schwierigkeiten abzusperren sind und auf die vorgenannten Punkte verzichtet werden kann, ist die Luftprüfung durch den weit geringeren Zeitaufwand die beste Wahl.

Grundlage für die Festlegung von Prüfabschnitten können die Ergebnisse der TV-Inspektion sein. In der Regel ist nur dort die Durchführung einer Dichtheitsprüfung sinnvoll, wo optisch keine Schäden festgestellt worden sind. Sind optische Schäden in einem Teilbereich vorhanden, sollte dieser Teil von der Dichtheitsprüfung ausgeschlossen werden, um eine Aussage über die Dichtheit des übrigen Leitungsnetzes zu erhalten. Ansonsten sollte folgende Vorgehensweise angewandt werden:

  • Zunächst Prüfung des Gesamtsystems vom Revisionsschacht aus.
  • Bei festgestellter Undichtheit: Bildung von Teilabschnitten, z.B. einzelne Nebenstränge um die Schäden zu lokalisieren.

In der Praxis ist eine flächendeckende sowie zeitlich kalkulierbare Durchführung von Dichtheitsprüfungen im Privatbereich ein nicht zu unterschätzendes logistisches und personalintensives Unterfangen, so dass aufgrund der Wichtigkeit der Dichtheitsergebnisse ein starkes Engagement des Netzbetreibers erfolgsversprechend ist.

Grundsätzlich stehen für die Dichtheitsprüfung von Entwässerungskanälen unterschiedliche Regelwerke zur Verfügung. So werden in der DIN EN 1610 und der DIN 1986 Teil 30 insbesondere neuverlegte Leitungen angesprochen. In der Praxis wird bei der Prüfung von bestehenden Abwasserleitungen häufig auf das ATV-Merkblatt M143 Teil 6 zurückgegriffen, welches speziell für bestehende Abwasserleitungen entworfen und wesentlich schwächere Prüfkriterien als die DIN EN 1610 nennt.

Die Prüfung mit Luftdruck wurde gemäß DIN EN 1610 durchgeführt. Der Prüfdruck beträgt 100 mbar. Bei anstehendem Grundwasser ist der Prüfdruck entsprechend zu erhöhen. Der zulässige Druckabfall beträgt 15mbar.

Eine Prüfung des oft verzweigten Leitungsnetzes mit Luftdruck unter dem Haus ist praktisch nicht durchführbar. So reduziert sich der Einsatz des Prüfmediums Luft vor allem auf die Anschlusskanäle sowie definierte Leitungsstrecken ohne Abzweige. Hier kommen die vielfältigen Vorteile einer Luftprüfung, insbesondere die Zeitersparnis voll zur Geltung.

Nachteilig ist, dass die Luftdruckprüfungen nur sehr ungenaue Aussagen über das Ausmaß eines Schadens liefern, da die Luft bereits bei einer relativ kleinen Undichtigkeit schlagartig entweicht. Als Ergebnis steht hier die Befundung "dicht" oder "undicht", ohne die Möglichkeit das Ausmaß der Undichtigkeit zu bestimmen.

Eine differenzierte Beurteilung liefert nur die Wasserprüfung durch das Messen der Wasserverlustmenge.

 

 

Abb. 7: CAD-Plan des TV-inspizierten und auf Dichtheit geprüften Grundstück

 
2.4.5 Ergebnisse der Dichtheitsprüfungen privater Entwässerungen

Das Ausmaß der Undichtigkeiten an den geprüften Grundstücksleitungen und Schächten ist erschreckend. Selbst vor dem Hintergrund, dass die Verbindungen der Einzelrohre nicht den heutigen Qualitätskriterien entsprechen können, muss dieses Ergebnis aufrütteln.

 

 

Abb. 8: Ergebnisse der Dichtheitsprüfung an den Grundstücks-entwässerungen im Sanierungsgebiet Göttingen-Grone

 
In den Untersuchungsgebieten wurden bei der Erstbebauung nahezu ausschließlich Steinzeugrohre verwendet. Die Verbindungstechnik zur damaligen Zeit bestand in einem Hanfstrick der mit Teer vergossen wurde. Diese Verbindung muss - schon bedingt durch den verrottbaren, organischen Anteil - nach einer gewissen Zeit in der Dichtwirkung nachlassen.

Trotz des Auffindens von dichten Leitungsabschnitten muss der Zustand der Entwässerungsanlagen als desolat eingestuft werden. In nahezu ¾ der Leitungsabschnitte wurden die Grenzwerte um mindestens das 10-fache überschritten, in fast der Hälfte der Rohrsegmente um über das 100-fache.

Die Ergebnisse der geprüften Leitungsabschnitte werden in der nachstehenden Grafik dargestellt.

 

 

Abb. 9: Dichtheitsprüfung an den Grundstücksentwässerungen. Auswertung der einzelnen Prüfabschnitte

 
Eine weitere Betrachtung soll den Zustand der Schmutzwasser-Schächte dokumentieren. Viele Schächte sind gemauert und verfügen über eine geschlossene Revisionsöffnung. Einige haben ein offenes Gerinne oder bestehen aus Betonformteilen. Die Tiefen bewegen sich bedingt durch die teils nicht unterkellerten Gebäude zwischen 0,5 und etwa 2,5m. Bei etwa der Hälfte der Schächte wurde auf eine Dichtheitsprüfung verzichtet, da sie sichtbar undicht waren oder bei der Prüfung der Rohrleitung Undichtigkeiten auftraten.
 

Abb. 10: Ergebnisse der Dichtheitsprüfung an den Schmutzwasser-Revisionsschächten im Privatbereich

 
Anhand der dargestellten Untersuchungsmethoden kann auch die sich über die Jahre aufgebaute Untersuchungstiefe beschrieben werden. So können die Inhalte der Grundstücksuntersuchungen wie folgt beschrieben werden:

  • Bis 1999: Signalnebeluntersuchung und Auswertung der TV-Hausanschlussbefahrung mit der Lisy-Kamera (zumeist nur wenige Meter privater Inspektion)
  • Ab 2000: zusätzlich: TV-Untersuchungen des SW-Systems vom Grundstück aus bis unter die Bodenplatte
  • Ab 2001 zusätzlich: Dichtheitsprüfungen, abschnittsweise auf dem Grundstück/im Wohnhaus in grundwasserrelevanten, infiltrationsträchtigen Gebieten
  • Ab 2004 Erfassung, Inspektion und Prüfung der Dichtheit des gesamten öffentlichen und privaten Netzes
 
3.   Technische Innovationen bei der privaten TV-Inspektion

Neben der "Panoramo" als neue TV-Inspektionstechnologie im Bereich des öffentlichen Hauptkanals haben insbesondere die Neu- und Weiterentwicklungen bei der TV-gestützten Erfassung von Grundstücksnetzen für viel Aufmerksamkeit gesorgt.

Seit 2002 entwickeln mehrere Firmen Kamerasysteme, die vom Hauptkanal oder dem Grundleitungs-Hauptstrang in die Abzweige eingeschoben werden können. Den Reigen der Präsentationen eröffnete die Fa. ZK mit dem "Göttinger Kanalwurm" im Februar 2003, gefolgt von der Fa. JT electronic mit der "Lindauer Schere" und zum Jahresende 2003 die Fa. IBAK mit der "Orion L", auch "Kieler Stäbchen" genannt.

Alle drei Kamerasysteme wurden in Göttingen eingesetzt. Für eine abschließende Bewertung ist es jedoch noch zu früh. Während der "Göttinger Kanalwurm" und die "Lindauer Schere" Neuentwicklungen sind, die jedoch grundlegend anderen Ansätzen folgen, ist die "Orion L" eine Weiterentwicklung in Form einer Gehäusemodifikation mit aufgestecktem Führungsstab der seit Jahren bewährten Hausanschlusskamera.

Insbesondere die beiden erstgenannten Systeme haben im Jahre 2003 fortwährend Innovationszyklen absolviert, um den hohen und unterschiedlichen Inspektionsansprüchen gerecht zu werden. Zurzeit ist die Stabilität der Systeme noch nicht ausreichend. Hinzu kommen Probleme bei der Erfassungssoftware, die um- bzw. neu geschrieben werden muss.

Eine Praxisreife ist bei dem derzeitigen Entwicklungsfortschritt in diesem Jahr für alle drei Systeme zu erwarten.

Auf eine technische Beschreibung der Systeme soll an dieser Stelle verzichtet werden, da diese ausführlich in den einschlägigen Fachzeitschriften erörtert wurden.

Nachfolgend sind die drei Inspektionssysteme in der Reihenfolge ihres Erscheinens am Markt abgebildet.

 

Abb. 11: Göttinger ZK-Kanalwurm

 

 

Abb. 12 Lindauer Schere

 

Abb. 13: Orion L (oder Kieler Stäbchen)

 
Die Frage des Nutzens in der Praxis ist nicht einfach zu beantworten.

Ob eine Befahrung der Abzweigleitungen sinnvoll ist, kann uneingeschränkt bejaht werden. Die gleiche Frage, mit dem Zusatz "generell" versehen, müsste aufgrund der Erfahrungen verneint werden.

Die Einsatzgebiete der Abzweigkameras werden neben der Klärung spezieller Fragestellungen, schwerpunktmäßig im "neueren Bestand" ab den 70-iger Jahre gesehen, da hier aufgrund der eingesetzten abwasserbeständigen Muffendichtungen teilweise intakte Leitungsstrecken vorliegen und deshalb eine Gesamtbefahrung sinnvoll sein kann.

Das Einsatzgebiet der Abzweigkameras liegt nicht nur im Bereich der Bestandsaufnahme, sondern vielleicht zukünftig in noch größerem Ausmaße auf dem Gebiet der Begleitung von Sanierungsmaßnahmen. Stichwort ist hier das Flutungsverfahren.

 
4.   Intelligente Inspektion

Wie könnte nach den vorliegenden Erkenntnissen der letzten Jahre ein zeitgemäßes, erfolgreiches und zielgerichtetes Erfassungssystem für die Grundstücksnetze aussehen ?

Die Erfahrungen in der Grundstücksbearbeitung mit den immer aufwendigeren Untersuchungen und den immer tiefgreifenderen Sanierungen, führten im Jahre 2003 zu vermehrten Diskussionen, die letztlich die neue Zieldefinition der dichten Kanalisation im öffentlichen und privaten Bereich kreierte, unabhängig von bisherigen Gefährdungsabschätzungen.

Die ab 2001 durchgeführten Dichtheitsprüfungen der privaten (und öffentlichen) Schmutzwassernetze waren anfangs auf die nachgewiesen grundwassergefährdeten Gebieten beschränkt.

Die Entscheidung der Stadtentwässerung Göttingen ist letztlich eine zwangsläufige Konsequenz aus den bisher gewonnenen Untersuchungsergebnissen bei der Inspektion der (öffentlichen und privaten) Kanalnetze.

Gleichsam öffnet dieser Beschluss die Tür zur Gleichbehandlung aller Grundstücke.

In den konzeptionellen Diskussionen setzte sich zunehmend die Überzeugung durch, dass alle Schmutzwasserleitungen netzdeckend einer Dichtheitsprüfung unterzogen werden müssen.

Im Winter 2003 wurde die Dichtheit des privaten und öffentlichen Netzes als Zielvorgabe durch die Stadtentwässerung Göttingen festgeschrieben, so dass alle Netzabschnitte dicht sein müssen bzw. nach der Sanierung einer Dichtheitsprüfung unterzogen werden.

In der Praxis stehen bei Anwendung einer konsequenten Sanierungsstrategie im privaten Bereich auf den meisten Grundstücken Totalsanierungen an. Der Schwierigkeitsgrad bei der baulichen Neugestaltung des Privatnetzes und die Koordinierung mit den öffentlichen Baumassnahmen kann nur durch den Netzbetreiber oder dessen Beauftragten erfolgen. In Einzelfällen können nach der örtlichen Bestandsaufnahme und ersten Gesprächen die gesamten oder Teile der Untersuchungen gespart werden, wenn der Eigentümer aufgrund der wahrscheinlichen Abgängigkeit seiner Entwässerungsanlage eine Neuverlegung des häuslichen Abwassernetzes vorzieht. In der Regel ist es jedoch notwendig den Zustand der Grundstücksentwässerung zumindest bis zu einer gewissen Untersuchungstiefe nachzuweisen.

Der nachfolgende grafische Verfahrensablauf trägt den Erkenntnissen aus der Grundstücksinspektion der letzten Jahre Rechnung und versucht ohne Einbuße an relevanten Informationen über die Grundstücksentwässerung, die Kosten insbesondere bei den Dichtheitsprüfungen zu reduzieren. Des Weiteren sind gegenüber dem derzeit sehr erfolgreich praktizierten Konzept der Grundstücksinspektion und -bearbeitung einige Änderungen eingeflossen, um vor Ort eine schnelle und zielgerichtete Sanierungskonzeption zu entwerfen und den Untersuchungsumfang spontan anzupassen.

Generell ist anzumerken, dass die oft komplizierten Sanierungsalternativen nur vor Ort konzipiert und erläutert werden können. Die optische Inspektion verliert als primäres Instrument zur Findung der Sanierungsentscheidung stark an Bedeutung. Die entscheidende Frage ist: Dicht oder nicht dicht?

 

Konzept 2004 - Grundstücksuntersuchung

 
Das umseitig konzipierte Ablaufschema der Grundstücksuntersuchung wird ab Frühjahr 2004 auf seine Praxistauglichkeit geprüft und soll das derzeitige System der Totalinspektion ablösen. Das Einsparpotential an z.B. nicht durchzuführenden Dichtheitsprüfungen wird auf 30 – 50 % geschätzt. Dies hängt in erster Linie davon ab, inwieweit den Grundstückseigentümern zu einem frühen Zeitpunkt näher gebracht werden kann, dass ihre Grundstücksentwässerungsanlage abgängig ist. Hier kann der beratende Ingenieur durch den über die Jahre gesammelten Erfahrungsschatz eine diesbezügliche Meinungsbildung stark fördern.

Neben einer intelligenten Untersuchungsstrategie, gibt es noch einige weitere Elemente, denen das Prädikat intelligent anzuheften ist. Diese haben nicht immer unbedingt direkt mit der Inspektion vor Ort zu tun, ermöglichen jedoch erst durch die initiierte Weichenstellung den Erfolg.

 
"Intelligente" Strategie-Module

  • Die für die Eigentümer kostenfreie Untersuchung ihrer Entwässerungsanlage durch die Stadtentwässerung Göttingen ist im Rückblick gesehen ein genialer konzeptioneller Ansatz. Ein anderer Einstieg in die Grundstücksbearbeitung, wie z.B. die Forderung der Erbringung des Nachweises durch den Eigentümer selbst, ist aus Praktikabilitätsgründen (verschiedene Standards der Untersucher; variierende Qualität und Untersuchungstiefe bzw. -umfang) nicht umsetzbar. Die Schwierigkeiten mit der Umsetzung der Eigenkontrollverordnungen in den einzelnen Bundesländern belegen dies hinreichend, so weit diese bisher im Privatbereich umgesetzt wurden

  • Es zeigt sich bei der Fremdwasserproblematik besonders deutlich, dass Qualität weit wichtiger ist als Quantität. Teiluntersuchungen oder –einbeziehung der Grundstücke sind, wie die Erkenntnisse aus Göttingen zeigen, fehl eingesetzte Mittel.

  • Die Fähigkeit sich mit den Fehlern und Unzulänglichkeiten aktiv auseinanderzusetzen und der "ruhelose Geist" auf der Suche nach Lösungen in der Fremdwasserfrage sowie der Wille sozial angemessene, technisch sinnvolle Lösungen zu erschaffen, sind die Lebensenergien des Göttinger Konzeptes. Dieses über Jahre geschaffene produktive Klima gilt es aktiv zu pflegen und auszubauen.

  • Der Aufbau von in der Grundstücksarbeit erfahrenen Untersuchungs-Teams ist ein tragender Faktor des Konzeptes. Die Kommunikation, der tägliche Austausch und ein optimiertes Arbeitsverhältnis zwischen Ingenieur und Inspekteur ist eine sehr entscheidende Schnittstelle. Die Integration beider Leistungen in einem Büro/Betrieb ist sicher die effizienteste Lösung. Bei einer klassischen Konstellation (Ing.-Büro/Untersuchungsfirma) ist eine sehr enge Kooperation sicherlich anzuraten.

  • Die Idee, den Grundstückseigentümern von der ersten Kontaktaufnahme bzw. den ersten Untersuchungen einen Ingenieur als zentralen Ansprechpartner zur Seite zu stellen, welcher das Grundstück ggf. bis zur Bauabnahme betreut, scheint ein weiterer Stabilitätsfaktor zu sein. "Entwässerungs-seelsorgerische" Qualitäten sind von den Grundstücks-Ingenieuren mitzubringen.

Die Sanierung der Grundstücksentwässerungen in Deutschland ist sicherlich die Herausforderung der nächsten Jahrzehnte. Das Potential der Schäden ist gewaltig. Die Lösungsansätze im Bereich der Sanierungen eher bescheiden, die erforderliche Ganzheitlichkeit bei der Bearbeitung der Sanierungsmassnahmen noch in den Kinderschuhen.

Ein idealer Tätigkeitsraum für kreatives Ingenieurpotential !

 
 

Für weitere Informationen
wenden Sie sich bitte an:

Dipl.-Ing. Harald Ballweg

Ingenieurbüro Ballweg

Göttingen

Tel.: 0551 4998899

Email: ibb.ballweg@gmx.de



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