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IKT-eNewsletter März 2008
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IKT-Newsletter

Feldversuche zu Wurzeleinwuchs in Abwasserkanälen

Otzenrath, Holz und Spenrath sind Dörfer, die dem Braunkohletagebau „Garzweiler II“ weichen mussten. Für das IKT bieten diese verlassenen Siedlungen ideale Forschungsbedingungen: Die IKT-Forscher nutzten die seit mehr als 20 Jahren bestehenden Abwasserleitungen, um Modellvorstellungen zum Einfluss unterirdisch verlegter Abwasserleitungen und ihres Bettungsmaterials auf das Wurzelwachstum zu überprüfen [1].

Problemfall Wurzeleinwuchs

Das Thema „Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen“ wurde bereits mehrfach vom IKT bearbeitet (vgl. zum Beispiel [2], [3]). Die IKT-Forscher entwickelten im Ergebnis eine Modellvorstellung, das Dichtefallenmodell, mit deren Hilfe die Reaktion von Wurzeln auf bestimmte Bodenparameter, wie Porosität oder Verdichtung beschreibbar ist. Wurzeln wachsen vorwiegend in porenreichen Bodenbereichen [4], wie sie zum Teil im Leitungsgraben auftreten. Das Dichtefallenmodell beschreibt außerdem, dass Wurzeln Bereiche mit geringem Porenanteil oder hoher Verdichtung nicht wieder verlassen können und aus diesem Grund Leitungen regelrecht verfolgen und deren Bettungsmaterial kontinuierlich durchwurzeln [2].

Eine zuverlässige Bestätigung war bisher jedoch nicht möglich. In einem vom Umweltministerium NRW geförderten Forschungsprojekt [1] verifizierten IKT-Forscher in Kooperation mit Forschern des FIW, Aachen, das Dichtefallenmodell mit Hilfe von Aufgrabungen in den verlassenen Siedlungen von Otzenrath, Holz und Spenrath. Die Leitungsnetze dort bestehen seit mehr als 20 Jahren.

Chemische und mechanische Verfahren zur Wurzelentfernung wurden unter In-situ- und Labor-Bedingungen auf ihre Anwendungsmöglichkeiten und Wirksamkeit untersucht. Die verlassenen Siedlungen bieten den Vorteil, dass die Leitungen bei Beschädigung durch die Untersuchungen nicht mehr instand gesetzt werden müssen. Zur Dokumentation und Analyse des Wurzelverlaufes in der Nähe von Entwässerungsleitungen wurden in acht Fällen Aufgrabungen durchgeführt.

Aufgrabungs- und Analysetechniken

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Aufgraben der Oberfläche
und Aushub mit dem Bagger
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Freilegen des Leitungsbereichs
von Hand
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Säubern der Wurzeln und
der Leitungsoberfläche mit Druckluft
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Freigelegter Leitungsstrang

Ergebnisse der Aufgrabungen

Bei den durchgeführten Aufgrabungen konnten die IKT-Forscher beobachten, dass Wurzeln entweder in direkter Nähe der Leitung, in ihrem Zwickelbereich oder an den Grenzen des Leitungsgrabens gewachsen sind. Wurzeln, die den Bereich von Leitungsgräben erreichen, folgen dem Verlauf der betreffenden Leitung. Die Wurzeln breiten sich in diesen Fällen parallel der Leitung aus. Im Bereich des Rohrzwickels liegt in der Regel eine geringere Verdichtung vor als im umgebenden Bettungsmaterial. Wurzeln können sich hier besonders stark ausbreiten.

Die Ergebnisse der Aufgrabungen bestätigten das zuvor beschriebene Dichtefallenmodell und weisen dem geringer verdichteten Zwickelbereich von Leitungen eine besondere Bedeutung zu. Ein weiteres zentrales Ergebnis der Aufgrabungen ist, dass Wurzeln der Oberfläche von Gegenständen im Boden, wie zum Beispiel Leitungen oder Schächten, folgen, wenn sie mit ihnen in Kontakt kommen. Wurzeln wachsen in direkter Nähe zu Leitungen, ohne dass sie dort zwangsläufig einwachsen. Es ist hervorzuheben, dass die äußere Oberfläche von Leitungen oder Schächten für Wurzeln attraktiv ist, auch wenn diese nicht in Betrieb sind. Die Oberfläche der betreffenden Gegenstände hat Einfluss auf die Ausbreitung von Wurzeln, der im Rahmen der durchgeführten Untersuchungen nicht näher zu ermitteln war. Die Annahme, Leitungsinhalt sei der Stimulus für den Wurzeleinwuchs wurde in keinem der untersuchten Fälle bestätigt.

Verfahren zur Wurzelentfernung

Kommt es zum Wurzeleinwuchs, so ragen diese häufig von den Rohrverbindungen her in den Querschnitt der Leitung. Sie haben vielfach im Bereich des Scheitels die Rohrverbindung durchwachsen und bleiben dort fixiert. Die Wurzeln hängen in Form eines Vorhangs in der Leitung herab und bilden Abflusshindernisse. Zur Wurzelentfernung eignen sich chemische Verfahren sowie rotierende Werkzeuge, wie zum Beispiel Kettenschleudern oder Fräsen.

Chemische Wurzelentfernung

Bei der chemischen Wurzelentfernung werden Substanzen, die zum Absterben der eingewachsenen Wurzeln führen, in betroffene Leitungsabschnitte eingebracht. Die Agenzien werden nach Ablauf einer Einwirkzeit aus der Leitung entfernt und zum Teil mit dem Abwasser entsorgt.

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Versuchsaufbau zur Ermittlung
des Erfolges von Verfahren
zur chemischen Wurzelentfernung

Zur Ermittlung der Wirksamkeit setzten die IKT-Forscher eine Versuchsreihe an, in der Wurzeln in einem geschlossenen System dem Einfluss eines in Deutschland zugelassenen Detergens ausgesetzt waren. Dabei wurden Wurzeln einer Weide (Salix spec.) im Laborversuch in Detergens-Lösungen aufsteigender Konzentrationen kultiviert und die Wirkung der Detergens-Lösung auf die Wurzeln untersucht.

Nach wenigen Stunden zeigten sich in den Reagenzgläsern deutliche Verfärbungen. Dabei handelte es sich um aus den Pflanzen heraus gelöste Gerbstoffe. Sprosse und Blätter der Pflanzen zeigten denselben Habitus wie zum Zeitpunkt des Einsetzens. Nach einer Standzeit von 36 Stunden traten vornehmlich bei den Pflanzen, die in Reagenzgläsern mit hohen Konzentrationslösungen (1:2,5; 1:5; 1:10 und 1:25) kultiviert wurden, erste Mangelerscheinungen in Form welker Blätter auf. Zudem zeigten die Sprosse zum Teil großflächige Nekrosen (dunkle Verfärbungen).

Nach 48 Stunden konnte bei allen mit dem Detergens in Verbindung stehenden Pflanzen Veränderungen im Aussehen festgestellt werden. Um den Effekt, den die Detergens-Lösungen auf die Wurzeln ausüben, darzustellen, wurden Wurzelproben aus den verschiedenen Versuchsbehältern entnommen und Quetschpräparate angefertigt.

Quetschpräparate von Wurzelspitzen der Versuchspflanzen

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Kontrollversuch, ohne Detergens

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Nach Einwirkung des Detergens
(Verdünnung 1:2,5);
Zellstrukturen zerstört

Die Wurzeln der mit dem Detergens in Kontakt stehenden Versuchspflanzen zeigten dabei Deformationen der Gewebe in den Wurzelspitzen, bedingt durch den Verlust von Gerbstoffen, Verblassungen und die Auflösung ganzer Zellverbände. Die fortschreitende Mazeration der Wurzelgewebe korreliert dabei mit der aufsteigenden Konzentration der Lösungen. Mit einem ansteigenden Gehalt an Detergens zeigen die Proben eine verstärkte Degeneration, welche ein weiteres Wachstum der Wurzeln ausschließt.

Mechanische Wurzelentfernung

Während Wurzeleinwuchs in Deutschland nur selten mit chemischen Verfahren beseitigt wird, kommen mechanische Verfahren häufig zum Einsatz.

Je nach Position und Struktur (Dichte) der vorhandenen Wurzelpolster bietet der Markt unterschiedliche Werkzeuge zur Wurzelentfernung. Im ehemaligen Siedlungsgebiet von Otzenrath, Holz und Spenrath kam ein Fräsroboter mit auswechselbaren Fräsköpfen zum Einsatz. Mit diesem können die Wurzeln unter Kamerabeobachtung entfernt werden. Die Werkzeuge sind an einem schwenkbaren Arm befestigt, der bei den Arbeiten an den Einmündungsbereich herangeführt wird.

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Einbringen des Fräsroboters
zur Wurzelentfernung

Für die Fräsarbeiten in leicht-zugänglichen Bereichen wurde ein scheibenförmiger, flacher Fräskopf verwendet. Dieses Werkzeug erlaubt es, eingewachsene Wurzeln großflächig zu entfernen. Für die Arbeiten in den Einmündungsbereichen wurde jeweils ein Fräskopf mit einer Verlängerung verwendet. Mit seiner Hilfe ist es möglich schlechter erreichbare Wurzelpolster zu entfernen.

Zur Beurteilung der Leistung von mechanischen Verfahren zur Wurzelentfernung wurde zusätzlich ein Versuch im IKT durchgeführt, mit dessen Hilfe die Verfahren in praxisnaher Situation eingesetzt und die Ergebnisse beurteilt werden können. Zu diesem Zweck wurde typischer Wurzeleinwuchs basierend auf den Erfahrungen aus [2], [3] in einer geeigneten Anordnungen nachgestellt. Für die Versuche wurde eine Strecke aus duktilem Gussrohr mit einem Durchmesser von DN 150 aufgebaut.

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Versuchsaufbau mit Gussrohr
und applizierter Wurzel
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Blick in den Querschnitt
der Versuchsstrecke

Der Wurzeleinwuchs wurde mit Wurzeln und Sprossabschnitten des Blutroten Hartriegel (Cornus sanguinea L.) simuliert. Das Pflanzenmaterial wurde in das mit Bohrungen versehene Gussrohr appliziert, um das Vorhandensein von verholzten, mehrjährigen Wurzeln im Querschnitt der Leitung nachzustellen.

Die Nachhaltigkeit von Verfahren zur Wurzelentfernung kann von den eingesetzten Werkzeugen abhängen. Nach einer Wurzelentfernung erfolgt der Neuaustrieb von Wurzeln stärker, wenn die verbleibenden Schnittflächen glatt beschnitten sind. Glatte Schnittflächen mit vergleichsweise kleiner Oberfläche hemmen das Eindringen von Verunreinigungen aus dem Kanal. Abgeschlagene oder abgerissene Schnittflächen fördern Schädigungen an den Wurzeln, wenn Schadstoffe aus dem Kanal eindringen. Diese können einen Neusaustrieb hemmen, da über die größere Oberfläche schneller Keime eindringen können.

In den Versuchen wurden eine hydraulisch angetriebene Kettenschleuder und eine mechanisch angetriebene Wurzelfräse mit Klingen eingesetzt, um die Schnittflächen am verwendeten Pflanzenmaterial vergleichen zu können. Bei beiden Verfahren wurde das Pflanzenmaterial stumpf abgetrennt. Beide Verfahren erzeugen ähnliche Schnittflächen mit vergleichsweise rauen Oberflächen, die ein Eindringen von Keimen und so das Absterben der Wurzeln fördern können.

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Pflanzenmaterial: Wurzeln,
Werkzeug: Wurzelfräse mit Klingen
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Pflanzenmaterial: Wurzeln,
Werkzeug: Wurzelfräse mit Ketten

Ergebnisse der Wurzelentfernung

Sowohl die mechanische als auch die chemische Wurzelentfernung sind – richtig angewendet – geeignet, Abflusshindernisse durch Wurzeleinwuchs zu entfernen. Für beide Vorgehensweisen lassen sich jedoch Vor- und Nachteile anführen, die in der folgenden Tabelle zusammengestellt sind.

Kriterien für die Auswahl von Verfahren zur Wurzelentfernung
  Chemische Wurzelentfernung Mechanische Wurzelentfernung
Vorteil
  • Zugänglichkeit nur bedingt erforderlich
  • Keine Beschädigung an den üblichen Rohrmaterialien (z.B. Keramik, Kunststoff, Beton) zu erwarten

  • Standard-Verfahren vieler Kanalreinigungsfirmen
  • Keine Umweltbeeinträchtigung möglich
Nachteil
  • Umweltbeeinträchtigung durch Agenzien möglich
  • Mögliche Probleme beim Absperren unbekannter Netze
  • In der Regel Einwirkungsdauer und nachträgliche Reinigung notwendig

  • Werkzeuge nur eingeschränkt flexibel
  • Zugänglichkeit für Werkzeuge erforderlich
  • Mögliche Beschädigungen am Rohrmaterial

Die Auswahlkriterien sind auf das jeweilige Abwassernetz abzustimmen. Für die Anwendung chemischer Verfahren zur Wurzelentfernung sind zum Beispiel alle seitlichen Zuläufe abzusperren. Im Fall stark verzweigter Netze können einzelne Zuläufe übersehen werden und dadurch möglicher Weise Umweltbeeinträchtigungen durch das Austreten der verwendeten Agenzien entstehen. Die chemischen Agenzien zur Wurzelentfernung werden zum Teil aufgeschäumt und in der Regel mit Hilfe von Pumpen in die Leitung eingebracht, so dass sie sich dort gleichmäßig verteilen und dadurch alle Abschnitte einer Leitung, wie zum Beispiel Einmündungsbereiche und Rohrverbindungen, erreichen können. Jedoch ist nach dem Einbringen eine Einwirkzeit erforderlich, während der die verwendeten Agenzien ihre Wirkung entfalten können. Es ist zu erwarten, dass die heute eingesetzten Rohrwerkstoffe gegen die Agenzien beständig sind. Entsprechende Nachweise liegen i.d.R. allerdings nicht vor.

Bei der mechanischen Wurzelentfernung besteht, abhängig vom Rohrwerkstoff, die Gefahr der Beschädigung der Leitung durch den Einsatz der Werkzeuge. Für das Entfernen der Wurzelpolster an den unterschiedlichen Leitungsabschnitten, wie zum Beispiel in Einmündungsbereichen und Rohrverbindungen ist zum Teil ein Werkzeugwechsel notwendig. Zur Entfernung von Wurzeln in den Einmündungsbereichen von Grundstücksentwässerungsleitungen werden die Werkzeuge in der Regel vom Hauptkanal aus in die angebundene Leitung eingebracht. Dabei bestimmt der Leitungsquerschnitt in vielen Fällen den erreichbaren Arbeitsraum und damit die Reichweite der verwendeten Werkzeuge.

Die Entscheidung für die Anwendung eines Verfahrens zur Wurzelentfernung ist notwendiger Weise auf die konkreten Bedingungen eines vorliegenden Schadenfalles abzustimmen.

Literatur

[1] Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und Kanäle - ergänzende Feldversuche, Abschlussbericht. IKT - Institut für Unterirdische Infrastruktur, Gelsenkirchen in Kooperation mit dem FIW - Forschungsinstitut für Wasser- und Abfallwirtschaft an der RWTH Aachen im Auftrag des MUNLV NRW, 2007

[2] STÜTZEL, TH.; BOSSELER, B.; BENNERSCHEIDT, C.; SCHMIEDENER, H.: Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und -kanäle, Abschlussbericht. IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur, Gelsenkirchen im Auftrag des MUNLV NRW, 2004

[3] BOSSELER, B.; BENNERSCHEIDT, C.: Ökologische Auswirkungen von Wurzeleinwuchs in Abwasserkanäle und -leitungen und ökonomische Maßnahmen zur Schadensvermeidung und Sanierung, Abschlussbericht, IKT - Institut für Unterirdische Infrastruktur im Auftrag des MUNLV NRW, 2004

[4] SCHEFFER, F.; SCHACHTSCHABEL, P.: Lehrbuch der Bodenkunde, 14. Aufl., Enke-Verlag, 1998



Dipl.-Ing. Christoph Bennerscheidt
Dipl.-Ing. Heiko Schmiedener
IKT – Institut für Unterirdische Infrastruktur gGmbH
Exterbruch 1
45886 Gelsenkirchen
Tel.: 0209 17806-25
Fax: 0209 17806-88
E-Mail: info@ikt.de
Internet: www.ikt.de



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